Mythos und Bayern - Königsschlösser und Klischees

10.04.2017

Lehrer Uwe Reinecke berichtet über ein wissenschaftliches Kolloquium zur Landesausstellung im alten Ettaler Chorsaal am 3. April 2017

„Der Alpenraum: Natur - Kultur - Konflikt“ war das Thema des wissenschaftlichen Kolloquiums, das zur Vorbereitung der Bayerischen Landesausstellung 2018 im Kloster Ettal stattfand. Neun Wissenschaftler der Alpenraum-Universitäten Luzern, Augsburg, München und Wien informierten und diskutierten zu vier verschiedenen Schwerpunkten der Tagung: Identität und Grenze, Deutung und Inszenierung, Ressourcen, Erholung und Freizeit. Unter der Leitung von Prof. Dr. Lothar Schilling (Augsburg) ging es um historische Annäherungen in der Frühen Neuzeit, im Zeitalter der Nationalisierung und am Anfang des 20. Jahrhunderts sowie um die „Hochlandideologie“ und die alpenländische Architektur. Unter der Leitung von Prof. Dr. Marita Krauss (Augsburg) wurden die Ressource Holz und die Waldnutzung des Klosters Ettal betrachtet sowie die Rolle des Alpenvereins bei der Erschließung der Alpen und die Folgen des Skitourismus.

Nach der Begrüßung durch den Hausherren Abt Barnabas Bögle und Dr. Margot Hamm vom Haus der Bayerischen Geschichte, das für die konzeptionelle Gestaltung der Landesausstellung verantwortlich ist, begannen die Vorträge. Im Zentrum stand das Thema der „typisch bayerisch“ wahrgenommenen Kulturlandschaft, die für den „Mythos Bayern“ verantwortlich ist.

Mit einem der interessantesten Beiträge konfrontierte der Augsburger Privatdozent Dr. Stefan Lindl das Auditorium. Der Titel seines Vortrags lautete: „Königsschlösser, Hütten, Spiegelglas. Die Konstitution der Alpen durch Architektur“. Er stellte in Frage, ob der Mythos Bayern überhaupt existiere.  Es gelte zu überprüfen, ob der Begriff „Mythos Bayern“ nicht vielmehr in den Bereich des Marketings gehöre. Am Beispiel der Architektur zeigte er das Besondere der Inszenierung der alpenländischen Gebäude seit etwa1850 auf. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein an die Natur und das Klima angepasster Baustil zu erkennen, der bedingt ist durch die hauptsächlich zur Verfügung stehenden Baumaterialien Naturstein und Holz. Den Unterbau der Gebäude bildet meist ein kubusförmiger Steinbau, auf den ein Holzbau mit verschiedenen Dachformen aufgesetzt ist. Das Bundwerk in den Giebelfeldern der Satteldächer ist dagegen ein architektonisches Element, das in den zu findenden Ausformungen nicht durch unbedingte Notwendigkeit gefordert ist. Gleiches gilt für Balkone und Loggien. Die Kombination daraus konstituiert einen typisch alpenländischen Stil, der bei den heute noch erhaltenen Gebäuden auffällt und gefällt. Die Nutzung der meist mit der Landwirtschaft verbundenen Gebäude bringt ein Gebäudeelement mit sich, das zum Trocknen z. B. von Mais und Flachs benötigt wurde, den so genannten Türkenhänger. In einer zweiten Schale wurde an den Gebäuden eine Holzkonstruktion angebracht, die Luft und Licht durchlässt. Die heutigen Holzverkleidungen moderner Südtiroler Gebäude nehmen dieses Bauelement wieder auf. Allerdings weniger aus Gründen des landwirtschaftlichen Gebrauchs, vielmehr als architektonischer Bestandteil aktueller Wärmedämmungen.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts findet sich auch bei Grand-Hotel-Bauten für den Tourismus, die sich sonst an feudal-repräsentativen Schlossbauten orientierten, ein bewusstes Eingehen auf den alpenländischen Stil aus rein architektonischen Gründen. Diese Gebäude in die Bergeinsamkeit zu bauen, war eine Folge der Industrialisierung. Kuren in gesunder Natur im Kontrast zu verraucht-schmutzigen Städten wurden beliebt. Auch in Briefen Ludwigs II. an Richard Wagner ist dieser Flucht-Gedanke zu finden. Der Bayernkönig ging aber noch einen Schritt weiter. Seine Schlossbauten, vollendete und geplante, beschworen eine vergangene Zeit. Schloss Neuschwanstein im Alpenraum zu errichten und die Natur als architektonisches Element, die Gebirge als Rahmen für das Bauwerk, zu nutzen, war die Konsequenz. Gleichzeitig schuf er damit einen Gegenentwurf zur Urbanisierung und zur industriellen Welt.

Moderne Architekten lassen die Gebäude durch Spiegelglas und bewusst angepasste Materialienwahl in der Natur verschwinden. Wenn man all das als typisch alpenländische Architektur versteht und diese Hintergründe den Gebäuden zuschreibt, bekommen die Gebäude durch diese Zuschreibung etwas „Mythisches“. Und das gilt dann auch für den bayerischen Alpenraum.

Damit, so Lindl, könne auch er sich vorstellen, dass damit der Begriff „Mythos Bayern“ gerettet sei.

In der Abschlussdiskussion ging es aber wieder genau um diesen Mythos und um die Frage, ob vielleicht nicht doch gängige Klischees bedient werden. Dies zeigte aber zugleich, wie spannend diese Ausstellung werden kann. Frau Dr. Hamm versicherte mit einem souveränem Lächeln, dass man sich auf die Ausstellung freuen könne.

Diese Tagung hat bei den Tagungsteilnehmern die Vorfreude auf eine vielfältige und interessante Landesausstellung 2018 in Ettal noch einmal gesteigert.

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Uwe Reineke